Flächenexpansion im Retail in den 90-er und O-er Jahren
In den ersten Jahren gab es nur eine Tendenz und die zeigte nach oben. Retail war der Wunschmieter. Die Hauseigentümer konnten die oftmals schwer vermittelbaren Erdgeschoßlagen lukrativ vermieten und so konzentrierte man sich auf diese Klientel, was auch die Multifunktionalität in den Innenstädten beeinträchtigte. Es vergrößerten sich die Verkaufsflächen in den Innenstädten (wir haben teilweise Datenmaterial, das bis zum Jahr 1970 zurückreicht) und es explodierte die Zahl der Einkaufszentren. Deren dynamischste Phase war zwischen 1995 und 2005, etwa 10 Jahre zeitversetzt folgten die Fachmarktzentren, die die letzten Versorgungslücken des Betriebstyps Shopping Center – oftmals in kleineren Bezirkshauptstädten oder Bezirkszweitorten – schlossen. Durch die geringeren Errichtungs- und vor allem Betriebskosten sind Fachmarktzentren auch für Standorte geeignet, die kleinere Einzugsgebiete ansprechen können. In den letzten 10 Jahren hat sich aber die Dynamik stark reduziert und es gibt nur noch äußerst vereinzelt Neueröffnung (eher noch Erweiterungen bestehender Gebäude). Derzeit zählen wir 247 Shopping Center (Einkaufs- und Fachmarktzentren, Warenhäuser und Factory Outlet Center, die auf einer Fläche von 4,3 Mio. m² jährlich etwa 15,5 Mrd. Euro erwirtschaften und ca. 565 Mio. Besucher zählen.
Strukturwandel setzt ein
Der Strukturwandel zeigt sich insbesondere in den Innenstädten. Seit 2018 gehen die Verkaufsflächen zurück, aber nicht in der Intensität, wie es oftmals dargestellt wird. Die Leerstandsquote in den 24 größten Innenstadtbereichen lag 2024 bei 5,5%, was einen deutlichen Anstieg im Vergleich zum Vorjahr darstellt. Besonders auffällig ist die Entwicklung in Kleinstädten, wo die Leerstandsquote mittlerweile bei 15,6% liegt. Kleine Bezirkshauptstädte haben also deutlich massivere Probleme als Primär- und Sekundärstädte.
Gegenwind im Einzelhandel spürbar
Der Einzelhandel leidet generell unter der Konkurrenz des E-Commerce, der insbesondere in cityrelevanten Branchen zwischenzeitlich einen erheblichen Anteil am Konsum ausmacht, und dieser Trend könnte in den kommenden Jahren noch zunehmen. Weiters ist augenfällig, dass sich Städte, die über ein starkes peripheres Angebot verfügen und dazu noch schlecht erreichbar sind – oder in denen das Parken schwierig ist, sich ganz besonders schwertun, den innerstädtischen Handel zu halten.
Außerdem orten wir in den Cities eine gewisse Pendelbewegung. Wenn der Leerstand zunimmt, verschwinden im nächsten Jahr oftmals Flächen und erfahren eine andere (meist handelsferne) Nutzung. Da diese Flächen „aus der Wertung“ fallen, reduziert sich im nächsten Jahr der Leerstand. Es wäre aber völlig falsch zu glauben, dass sich damit die Situation verbessert hätte. Daher plädieren wir immer dafür, sich die Daten im Detail anzusehen. Ranglisten gereiht nach der Leerstandsquote können da oft irreführend sein.

Dr. Roman Schwarzenecker, Gesellschafter und Prokurist bei Standort + Markt
Gegenstrategien: Geordneter Rückzug, Transformation und Rückkehr zur Multifunktionalität
Um dem zunehmenden Leerstand und den strukturellen Veränderungen zu begegnen, wird ein „geordneter Rückzug“ aus überflüssigen Shopflächen notwendig sein. Transformationsstrategien könnten dabei helfen, die Leerstände zu minimieren. Sich hierbei nur auf die Gastronomie zu verlassen, ist deutlich zu kurz gegriffen, das zeigen auch die Daten deutlich. Die Gastroflächen haben sich nur minimal erhöht, „Gastro ist the new retail“ hat so nicht stattgefunden.
Unserer Ansicht nach haben sich vor allem die Städte und deren Hauseigentümer zu lange auf Retail verlassen. Die hohen Mieten verlockten mehr und mehr, Handelsflächen zu schaffen; eine Monostruktur entstand, die uns nun etwas auf den Kopf fällt. Früher waren die Städte deutlich multifunktionaler und boten neben Handel auch andere Nutzungen wie Arztpraxen, Kanzleien, Gewerbe und öffentliche Nutzungen, das zeigen auch Untersuchungen, die bis 1970 zurückreichen. Nun geht der Trend wieder etwas in diese Richtung. Im Vergleich zu vor 50 Jahren verfügen die Städte aber auch nach den letzten Flächenreduktionen über deutlich mehr Retail-Flächen als zu den Zeiten, die am Beginn unserer Beobachtungen standen.
Polarisierung im Retail feststellbar
Generell ist eine Polarisierung im Retail festzustellen. Während sich (an einigen wenigen Standorten!) Luxus-Shops immer mehr ausbreiten und vor allem der Diskontbereich (so sind Aktionspostenmärkte eine der wenigen Betriebsformen, die derzeit tatsächlich expandieren) an Terrain gewinnt, verliert die „breite Mitte“. Ins Strudeln gekommene Anbieter wie kika/Leiner, Gerry Weber, Jones, My Shoes, Reno, Hallhuber, Northland, Palmers, Esprit usw. zeugen von diesem Trend. Wie die Aufzählung schon zeigt, ist insbesondere die Bekleidungsbranche von dieser Entwicklung betroffen. So verloren Bekleidung & Schuhe in der letzten Dekade 120.000 m² ihrer Flächen in den 24 größten Innenstädten Österreichs. Waren 2014 fast ein Drittel aller Shopflächen Bekleidungsgeschäfte, sind es jetzt nur noch etwas mehr als ein Viertel. Dieser Rückgang ist sehr auffällig, da gerade diese Shops das Ambiente und das Shoppingerlebnis einer Stadt ausmachen. Ein Besucher der Innenstadt lässt sich wohl eher von Auslagen von Boutiquen und weniger von Supermärkten oder Bankfilialen inspirieren.
Einzelhandelsausgaben: Nominaler Anstieg, realer Rückgang
Auch das Datenmaterial und die Stimmungslage verheißen keine allzu günstigen Zukunftsaussichten: In den letzten Jahren stiegen zwar die Einzelhandelsausgaben, allerdings nur nominell. Real, also abzüglich der Inflation, sind sie weniger geworden. Der Einzelhandel konkurriert generell seit geraumer Zeit mit anderen Ausgabengruppen: Lag der Anteil der einzelhandelsrelevanten Ausgaben 1995 noch bei 40,0%, ist er zwischenzeitlich auf 33,4% gesunken. Dafür schlagen sich die Ausgaben für Wohnen und Energie, aber auch für Urlaube stärker im Ausgabengerüst nieder. Die positive Bevölkerungsentwicklung kann die geringeren Konsumausgaben nur zum Teil kompensieren.
Regulierungen als zusätzliche Herausforderung
Generell wird es Unternehmern in Österreich nicht leichtgemacht, das wird schon seit Jahrzehnten bekrittelt. Der Einzelhandel zählt zu den am stärksten regulierten Branchen. Beispielsweise erschweren Fahr- und Anlieferverbote die Belieferung von Filialen, 9 verschiedene Raumordnungsgesetze schaffen nicht gerade Transparenz und die EU Lieferketten- sowie die Abfallrahmenrichtlinie machen es auch nicht gerade leichter. Dazu fallen oftmals sehr willkürlich wirkende Gebühren, wie etwa eine Mietvertragsgebühr bei gewerblichen Mietverträgen, an.
Die aktuellsten Diskussionen ranken sich um eine Bevorteilung des E-Commerce. Während der Internethandel 24/7 offenhalten kann und Beschäftigte anstellt, die über andere (unternehmerfreundlichere) Kollektivverträge verfügen, kämpft der stationäre Handel hier mit wesentlich stumpferen Waffen (z.B. Zuschläge für Handelsangestellte zu Randarbeitszeiten), um diese Metapher zu bemühen.
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